In den Freundeslisten der „Generation Internet“ tummeln sich hunderte von Menschen. Brauchen wir ein neues Wort für Freundschaft?

Kamerad, Kumpel, Mitstreiter, Partner, Gefährte, Begleiter. Es gibt viele Begriffe, die für Menschen verwendet werden, zu denen man eine soziale Beziehung unterhält. Die meisten davon sind schnell erklärt. Zunehmend schwieriger fällt diese Erklärung jedoch beim Freund, obwohl dieser, oder vielleicht gerade weil dieser, der im Bewusstsein eines Menschen präsenteste soziale Kontakt ist. Was ist denn ein Freund? Was war ein Freund früher? Wann zähle ich einen Menschen zu meinen Freunden? Diese Fragen muss jeder für sich selbst beantworten. Was zunehmend schwieriger wird.

Wie immer wenn die Dinge anfangen schwierig zu werden, liefern wissenschaftliche Erkenntnisse eine erste Orientierung. Hierbei laufen alle Quellen auf in etwa folgenden Kern hinaus: Freundschaft ist eine „Form sozialer Beziehung zwischen zwei oder oder mehreren Partnern, die durch gegenseitige Anziehung und persönlichkeitsbezogene Vertrautheit und durch Achtung bestimmt ist und Hilfs- und Opferbereitschaft und freiwillige Verantwortung für den anderen einschließen kann, im Unterschied zu zweckbedingten, partnerschaftlichen Verbindungen“ (Brockhaus Enzyklopadie). Neben der theoretischen Einteilung der Freundschaft in verschiedene Formen bildet dieser Textauszug das Herzstück des allgemeinen Verständnisses des Freundschaftsbegriffes. Er sollte es zumindest.

Wie subjektiv der Begriff verwendet wird, zeigt sich jedoch wenn man die Leute darauf anspricht. „Freunde sind für mich Leute, mit denen man über alles reden kann, neben denen man sitzen kann, einfach so, ohne irgendwas zu sagen und trotzdem versteht man sich“, sagt der 25-jährige Rainer. Laura mit ihren 21 Jahren äußert sich wie folgt: „Zu einem Freund hat man Vertrauen. Man wird nicht falsch verstanden, muss sich nicht erklären. Er weiß, wenn es einem schlecht geht, ohne das man es ihm sagen muss. Er ist zur richtigen Zeit am richtigen Ort und kann schlechte Laune vertreiben.“

Auch der kleine David hat mit seinen sieben Jahren schon eine genaue Vorstellung davon, was ein richtiger Freund ist. „Jemand, der mit dir spielt und wenn du jemanden kennst, der dich immer ärgert, dann hilft der dir.“

Viele Menschen antworten ähnlich und setzen die wahre Freundschaft auf ein hohes Podest, welches von Werten wie Vertrauen, Respekt und Opferbereitschaft gestützt ist. Was dabei vor allem auffällt: Freund ist nicht gleich Freund. Ein zweiter Freundbegriff hat sich nämlich in die Gesellschaft eingeschlichen. Diese Freunde sind unzuverlässig, zahlreich und untereinander kennt man sich oft kaum näher. Dieser Typus findet sich vor allem in sozialen Netzwerken wie StudiVZ wieder. Hier hat Laura über zweihundert Freunde. Über zweihundert Menschen, die nach ihrer Definition immer da sein müssten, wenn es brennt.

Dass natürlich keine zweihundert Menschen auf dem hohen Podest der Freundschaft stehen können, weiß jeder instinktiv. Der wahre Freundschaftsbegriff zeigt sich resistent gegen jede Abwertung oder Pauschalisierung. So braucht man nur sich selbst zu befragen und wird feststellen, eine relativ genaue Vorstellung von der Thematik zu haben, denn Freundschaft impliziert in erster Linie jenes Gefühl von Verbundenheit, welches nur zu einem ausgewählten Kreis an Menschen besteht. Egal wie viele hundert Menschen in irgendwelchen Listen unter „Freund“ zusammengefasst sind, so wird ein kleiner Kreis immer wissen, dass er einen höheren Stellenwert hat.

Man bräuchte demnach wohl keinen neuen Freundschaftsbegriff, sondern eher einen Begriff, um seine neue Kneipenbekanntschaft nicht mit „das ist mein flüchtiger Kontakt Inge“ vorstellen zu müssen. Doch spätestens an dieser Stelle wird eines klar. Wäre eine begriffliche Differenzierung von Freund und Freund wirklich notwendig, hätte sie sich sicherlich etabliert. Wir alle verwenden den Begriff „Freund“ mit nahezu inflationärer Häufigkeit, jedoch ohne dabei die Gesichter zu vergessen, denen wir ruhigen gewissen ein Schild umhängen könnten auf dem geschrieben steht: „Du bist ein wahrer Freund!“

Ein Essay von Mathies Rau