Wie bei den vorangegangenen GrIStuFs gibt es auch dieses Jahr eine Schirmherrschaft für das Festival: Es ist Bärbel Bohley, Bürgerrechtlerin der ehemaligen DDR, die vor allem durch ihr Engagement im Rahmen des Systemumsturzes 1989 und der anschließenden Wiedervereinigung bekannt geworden ist.

Bärbel Bohley

Sie wurde dafür unter anderem mit dem Bundesverdienstkreuz erster Klasse ausgezeichnet. Heute ist sie nach wie vor gesellschaftlich aktiv. Sie lebte mehrere Jahre in Nachfolgestaaten des im Bürgerkrieg zerfallenen Jugoslawiens und unterstützte dort verschiedene Wiederaufbau- und Friedensprojekte. Sie ist Gründerin des Kinderhilfsprojektes “Seestern e.V“, ein Verein, der sich zum Ziel setzt, Kindern und deren Familien aus der ehemaligen Kriegsregion auf dem Balkan zu helfen. Nachdem sie mehrere Jahre in Kroatien und Bosnien-Herzegowina lebte, wohnt sie heute wieder in Berlin.

Am vergangenen Freitag reiste sie vier Tage nach ihrem 65. Geburtstag nach Greifswald, um der feierlichen Eröffnung des GrIStuF beizuwohnen. Dort sagte sie in ihrem Grußwort unter anderem:

“Wir alle haben eine Verantwortung über Generationen hinweg, und manchmal müssen wir die Alten an den Müllhaufen erinnern, den sie uns hinterlassen haben und den wir nur gemeinsam aufräumen können. (…) Ich möchte mit einem Spruch von Laotse schließen: ‘Wir sind nicht nur verantwortlich für das, was wir tun, sondern auch für das was wir nicht tun.’
In diesem Sinne: Lasst uns alle unsere Verantwortung wahrnehmen. Ich glaube an die Bürgerbewegung und die zivile Gesellschaft weltweit, denn nur die Menschen auf der Strasse wissen, was für sie wichtig ist!”

Der webMoritz sprach im Vorfeld der Veranstaltung mit Bohley.

Frau Bohley, wie haben Sie Greifswald wahrgenommen, als Sie hier angekommen sind?

Ich war hier ewig nicht. Die Stadt hat sich auf jeden Fall verändert. Und nun komme ich am Freitag hier nach Greifswald und es sieht alles irgendwie tot aus. Es ist zwar alles schön gemacht, aber es sind so wenig Leute auf den Straßen. Aber vielleicht sind sie ja auch alle beim Abendessen.

…das wird es wohl sein! Was hat Sie motiviert, die Schirmherrschaft für dieses Festival zu übernehmen?

Ich war irgendwie gerührt, dass mich die jungen Leute gefragt haben, ob ich dass machen möchte. Ich muss sagen, dass ich schon gar nicht mehr daran dachte, dass sich noch jemand an uns erinnert. Das war dann natürlich klar, dass ich sowas mache. Ich finde es natürlich auch sehr schön, wenn junge Menschen aus der ganzen Welt hierher kommen, um zusammen etwas auf die Beine zu stellen. Leider kann ich immer noch kein Englisch und ich werde es wohl auch nicht mehr lernen und werde deshalb nicht die Kontakte richtig knüpfen können, wie ich es gerne möchte.

Bärbel Bohley (r) während ihres Grußworts. Bei der Übersetzung ins Englische gab es Schwierigkeiten.

Würden Sie sich heute noch als aktive Bürgerrechtlerin bezeichnen?

Aktive Bürgerrechtlerin in dem Sinne wie vor zwanzig Jahren bin ich natürlich auf keinen Fall mehr. Dennoch finde ich, dass man möglichst immer und überall Verantwortung wahrnehmen und sich dem stellen muss. Das mache ich, so lange ich lebe. Deshalb bin ich ja auch hierher gekommen, weil ich das Thema Verantwortung interessant finde.

Was ist für Sie Verantwortung?  Was muss ein Mensch tun, damit er verantwortlich handelt?

Im Prinzip muss er sich einmischen. Er muss riskieren, sich einzumischen und er muss auch riskieren, dass er dafür oft nicht gelobt wird, sondern nicht verstanden wird. Dieses “sich einmischen” ist es, um überhaupt Teil der Gesellschaft zu sein.

Damit wären wir auch schon bei der nächsten Frage: Was würden Sie zu einem jungen Menschen sagen, wenn er Sie fragt, wie man sich politisch engagieren soll?

Es müssen jedenfalls nicht immer Parteien sein. Es gibt ja auch Menschen, die nicht in Parteien wollen, weil es in Parteien auch wieder eine andere Form von Disziplin gibt. Ich möchte nicht in einer Partei sein wollen, aber ich möchte mich gerne einmischen können. Das kann ich. Heute sogar besser als früher. Durch das Internet kann man ja überall seinen Senf abgeben. Und das finde ich genau so wunderbar, wie die Möglichkeit, dass hier solche Festivals stattfinden. Es ist heutzutage überall möglich, zu kommunizieren.

Gibt es eine besondere Rolle, die eine Universität oder Studenten in der Gesellschaft spielen sollten?

Studenten sind natürlich das Salz in der gesellschaftlichen Suppe, wenn man es so nennen will. Sie müssen wirklich wach sein, hingucken und sich beteiligen. Und deshalb komme ich auch hierher, weil ich so etwas wie hier einfach schön finde.

Sie sagten ja bereits, dass Sie in keine Partei eintreten möchten. Gäbe es denn überhaupt eine Partei, in die Sie eintreten würden?

Nein, denn dann hätte ich das ja in den vergangenen 20 Jahren auch gemacht. Es ist natürlich sehr viel schwerer, sich ohne Partei politisch einzumischen. Aber man muss es versuchen. Einmal findet man einen Gedanken gut, den die Grünen äußern, dann wieder finde ich gut, was die SPD oder CDU sagt. Aber ich bin kein Mensch, der sich sozusagen ausgrenzt mit der Hälfte seiner Gefühle, nur weil er in irgend einer Partei ist. Ich möchte mich rundum einmischen können.

Weil wir gerade bei dem Thema sind: Was halten Sie von der Linkspartei? Ist Sie aus Ihrer Sicht eher eine “SED im Schaftspelz” oder eine ehrliche linke Alternative?

Es wäre ja schön, wenn man in Deutschland eine ehrliche linke Alternative hätte, weil ich denke, dass es eine solche braucht. Dafür halte ich “Die Linke” nicht.

…also doch eher die SED im Schafspelz?

Bärbel Bohley (m.) und Christa Wolf (r.) während einer Montagsdemo 1989.

Schafspelz ist jetzt ein bisschen zu viel gesagt. Ich denke nicht, dass Sie jetzt irgend etwas hinterhältiges vor hat. Aber sie ist für mich uninteressant, weil ihre Ideen auch keine neuen Wege in die Zukunft weisen. Etwas mit Zukunft haben sie für mich nicht zu tun. Parteien geht es nur um Macht. Ihnen geht es nur darum, gewählt zu werden. Das ist natürlich auch bei den Linken so.

Also sehen Sie eher im außerparlamentarischen Bereich Entwicklungsmöglichkeiten, wo man etwas bewegen könnte?

Es gibt sicher welche, die in den Parteien auch etwas bewegen können und wollen. Und die sollen es auch machen. Aber ich bin nicht so ein Mensch. Ich bin parteiengeschädigt. Wahrscheinlich durch die DDR.

In der DDR mussten Sie auch nach Hohenschönhausen und wurden von der Staatssicherheit beobachtet. Was hat Sie noch angetrieben, da durchzuhalten und weiter zu machen?

Der Wunsch, dass ich jetzt hier mit Ihnen so frei ins Mikrofon schwatzen kann. Und dass wir hier solche Festivals veranstalten können. Der Wille, die Gesellschaft zu verändern. Und wir haben es geschafft, die Gesellschaft zu verändern. Wenn auch nicht so, wie wir es unbedingt wollten. Aber sie ist aufgebrochen und es ist sehr viel möglich, was vor 1989 eine strafbare Handlung gewesen wäre.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Gespräch führten Ullrich Kötter und Marco Wagner.

Fotos von der Eröffnungsveranstaltung

Fotos: Patrice Wangen (Gruppenbild), Marco Wagner (Rednerpult), Bundesarchiv via wikimedia (Montagsdemo)