„Westprofessoren“ und gezielte Meinungsmache – eine nicht hinnehmbare Diskussionskultur für zwei Greifswalder Studenten. Sie nahmen sich der Probleme an und publizierten das Ergebniss in einem wissenschaftlichen Band.

Der 17. März dieses Jahres verlief relativ alltäglich und unscheinbar: Das Wetter in Greifswald war grau, viele Prüfungen waren erledigt, die Semesterferien näherten sich dem Ende. Was an diesem Tag hinter den Türen des Universitätshauptgebäudes passierte, in dem der akademische Senat tagte, war eine der lang erwarteten Entscheidungen. Zwei Lager haben sich beim Rubenowplatz eingefunden. Die einen sind für, die anderen gegen die Beibehaltung des Namenspatrons „Ernst Moritz Arndt“, der 1933 eingeführt wurde.

Eine fast einjährige Debatte mit vielen Höhen und Tiefen, insbesondere in der (Hochschul-)Politik, ging diesem Tag voraus. Durch eine Inszenierung Arndts von Sebastian Jabbusch und dem Vortragen von antisemitischen Zitaten wurde wieder eine ganze Welle an Streitgesprächen und manchmal auch Anfeindungen zwischen Studierenden, Bürgern der Stadt und anderen Beteiligten ausgelöst.

Bei der Vollversammlung der Studierendenschaft im Juni 2009 stimmte eine klare Mehrheit der Anwesenden dafür, dass die studentischen Gremien den Namen „Ernst Moritz Arndt“ ablegen sollten, und das Studierendenparlament (StuPa) sich dem Antrag anschließen solle. Noch dazu kam eine Entscheidung, die bisher einmalig in der 550-jährigen Geschichte der Universität war: Eine studentische Urabstimmung sollte her.

Unter anderem auf Initiative von studentischen Senatoren – darunter Fabian Freiberger und Thomas Schattschneider – gründete sich wegen der Debatte auch im akademischen Senat eine Kommission. Diese sollte erarbeiten, welche Argumente für und welche gegen Arndt als Namenspatron der Universität sprechen. Der Senat entschied sich – unabhängig vom Ergebnis der Urabstimmung – am 17. März 2010 für den Namenspatron. Die Senatsvorsitzende Maria-Theresia Schafmeister erklärte nach der Entscheidung in einem Beitrag von moritzTV: „Uns ist durch diese Entscheidung der Auftrag gegeben worden, sich kritisch mit der Person Arndt auseinanderzusetzen. Die Debatte um den Namenspatron wird nicht aufhören.“

Die Debattenkultur, in der nicht nur Vorwürfe des Populismus hin- und hergeschoben wurden, der negativ konnotierte Begriff „West-Professoren“ die Runde machte und die Fragen nach Mitspracherechten aufwarf, veranlasste zwei Greifswalder Studenten zu einer intensiveren Auseinandersetzung mit diesem Thema. Alexander Köcher und Martin Schubert wollten das Problem einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machen und wendeten sich an den bundesweit bekannten Soziologen Wilhelm Heitmeyer. Der Bielefelder Professor, der das dortige Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung leitet, publiziert seit 2002 jährlich den Band „Deutsche Zustände“, das sich mit dem von Heitmeyer geprägten Begriff der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit beschäftigt. Darunter fallen Problematiken wie Rechtsextremismus, Rassismus oder auch Homophobie.

Der diesjährige, neunte Band wurde Anfang Dezember veröffentlicht – mit dem Beitrag der beiden Politikwissenschaftsstudenten. „Eine Hochschule, die sich im Jahr 2010 zu ihrem antisemitischen und nationalistischen Namenspatron bekennt und damit einen Nazi-Beschluss von 1933 erneuert – das ist so krude, da muss man drüber schreiben“, erklärt Martin einen seiner Beweggründe. Allerdings sei für beide der Autoren der Verlauf der Debatte viel ausschlaggebender gewesen. Alexander meint dazu: „Es wurden im Laufe der Zeit immer wieder undemokratische Geschosse abgefeuert, die so nicht hinnehmbar sind.“ Aufgrund dieses Problems sei dies genau der richtige Anlass gewesen, „etwas Publizistisches zu unternehmen“, fährt der 28-Jährige fort. Seit neun Jahren beleuchtet das Forscherteam undemokratische Vorgänge in Deutschland und belegt diese mit quantitativen Studien in den „Deutschen Zuständen“.

Neben einer kurzen Beschreibung von Arndts Leben und Werk, wird auch die Entwicklung der Namenspatronage betont. Schon zwei Diktaturen haben sich den Patron in ihre jeweilige Ideologie gebaut. Im Fokus des Beitrags steht allerdings die Forderung nach Vorrechten von Greifswalder Bürgern und Eliten. „Wir haben uns mit Material beschäftigt, das für jedermann frei zugänglich ist“, sagt Alex. Insbesondere die Leserbriefe in der Ostsee-Zeitung oder die Audiomitschnitte von der Bürgeranhörung im St. Spiritus seien erkenntnisreiche Quellen für den Beitrag gewesen. Gerade bei dieser Anhörung wurde deutlich gezeigt, mit welcher Selbstverständlichkeit Menschen und Argumente abgeurteilt würden. „Weil sie nicht aus der Region stammen, weil sie jünger sind, weil sie nach Meinung einiger schon viel zu lang studieren“, führt er weiter aus.

Unter anderem ließ Bürgerschaftsmitglied Axel Hochschuld (CDU) in einer Pressemitteilung verlauten, dass Studenten in erster Linie an ihr Studium denken sollten. Auch wurden Leserbriefe an die Ostsee-Zeitung, die sich gegen Arndt als Namenspatron wandten, oftmals nicht veröffentlicht. Dagegen standen fast täglich Leserbriefe von Greifswalder Bürgerinnen und Bürgern in der lokalen Tageszeitung, die sich für den Namenspatronen aussprachen. Verschieden Vorstellungen davon, was ein Student für ein Recht darauf hat, sich in dieser Debatte zu positionieren, verdeutlichte auch ein Zitat von einem Biophysik-Professor, Klaus Dieter Rosenbaum. „Habt erst einmal zehn Jahre Berufspraxis, dann würde ich Euch auch ein Urteil abnehmen“, so eine seiner Aussagen. Früher seien die Aufgaben eines Studenten gewesen, zu diplomieren und promovieren, womit sich gleichzeitig auch die Generationsunterschiede deutlich bemerkbar machten.

Dass die Debattenkultur oftmals undemokratisch geführt wurde, war natürlich nicht der einzig ausschlaggebende Aspekt für den Beitrag. Alexander und Martin selbst engagierten sich auch während der zahlreichen Diskussionen und positionierten sich zu der Problematik, die bereits schon 2001 aufgrund eines ZEIT-Artikels in Greifswald diskutiert wurde. Dass ein solches Fallbeispiel nicht von der eigenen Meinung befreit ist, erklärt Alexander: „Wir haben uns die Debatte angeschaut und natürlich auch bewertet, das war der Sinn des Artikel.“ Nichts desto trotz ist der Text der beiden nicht als „propagandistisches Pamphlet“ zu verstehen, der Fokus liegt auf den undemokratischen Prozessen.

„Arndt hat nicht das ganze Land im Alleingang befreit, wie das manche gern darstellen möchten“, meint Martin zu der Diskussion. Außerdem sei Arndt nicht 1933 Namenspatron geworden, wegen seiner Märchen, sondern durch Judenhass und Hetzpropaganda. Auch Alexander findet, dass der Name Arndt für nichts weiter genutzt wird als „für Briefköpfe und Visitenkarten“. Dadurch zeige die Universität, dass sie sich an einen politischen Mythos klammere, der „keinen Weg in die Zukunft weist.“ Mit großer Mehrheit hätte man sich zu Arndt bekannt, daraus allerdings keine Konsequenzen gezogen. Geplant war unter anderem nach der Entscheidung für Arndt, eine kritischere Darstellung des Namenspatrons auf der Uni-Website.

Wie es jetzt nach der Veröffentlichung der „Deutschen Zustände“ weiter gehen wird, schätzen die beiden Autoren unterschiedlich ein. Mit dem Beitrag sollte aber auch dafür gesorgt werden, dass das Thema auf der Agenda bleibt.

Ein Bericht von Luisa Pischtschan